Tonic Masculinity – Was ist das?
Inmitten gesellschaftlicher Debatten über toxische Männlichkeit, Genderrollen und Gleichberechtigung taucht ein neues Konzept auf, das erfrischend anders klingt: „Tonic Masculinity“. Während Begriffe wie „toxisch“ oder „hegemonial“ mit negativen Zuschreibungen behaftet sind, verspricht die „tonische“ Variante ein gesundes, aufbauendes und integratives Verständnis von Männlichkeit.
Spätestens seit der US-amerikanische Schauspieler Pedro Pascal für sein öffentliches Auftreten als warmherziger, feministisch unterstützender Mann gefeiert wird, ist der Begriff in der Popkultur angekommen. Medien wie T-Online und The Daily Beast stilisieren ihn als neue Symbolfigur einer Männlichkeit, die Fürsorge zeigt, Nähe zulässt und Stärke nicht über Dominanz definiert.
Ursprung und Begriffsgeschichte
Der Begriff „Tonic Masculinity“ wurde erstmals vom US-amerikanischen Psychologen Dr. Miles Groth in einem akademischen Kontext verwendet. Groth beschrieb damit eine Form von Männlichkeit, die „heilsam“, „ausgleichend“ und „gesellschaftlich konstruktiv“ sei – als Gegengewicht zur oft kritisierten „toxic masculinity“. Im Gegensatz zu veralteten Rollenbildern betont Groth, dass Männer durch Verantwortung, Integrität und Dienst an der Gemeinschaft Männlichkeit definieren können – nicht durch Gewalt, Unterdrückung oder emotionale Kälte.
In einem Essay im Journal New Male Studies schreibt Groth: „Wir müssen die Idee männlicher Stärke neu denken – nicht als Kontrolle über andere, sondern als Bereitschaft, für andere einzustehen.“ Von dort aus verbreitete sich der Begriff in Coaching-Kreisen, Männergruppen und bald auch in der Medienwelt.
Definition und Merkmale
„Tonic“ stammt aus dem Griechischen „tonikos“ – kraftvoll, stärkend. In der heutigen Verwendung beschreibt „Tonic Masculinity“ eine Männlichkeit, die unterstützend, selbstreflektiert und offen ist, ohne ihre Stärke zu verlieren. Sie zielt nicht darauf ab, klassische Männlichkeitsattribute wie Mut oder Führungsbereitschaft abzulehnen, sondern sie neu zu interpretieren.
Typische Merkmale sind:
- Emotionale Ausdrucksfähigkeit
- Fürsorgliches Verhalten, insbesondere gegenüber Schwächeren
- Reflektierte Nutzung von Autorität ohne Machtausübung
- Respekt vor weiblicher Autonomie und Gleichberechtigung
- Verzicht auf stereotype Geschlechterhierarchien
Ein Beispiel aus dem Alltag: Der Feuerwehrmann, der Menschen aus brennenden Gebäuden rettet, ist stark – aber nicht, weil er dominiert, sondern weil er schützt. Auch der Grundschullehrer, der empathisch auf Kinder eingeht, verkörpert tonic masculinity – ohne martialische Rhetorik.
Abgrenzung zur toxischen Männlichkeit
Um den Wert von „tonic masculinity“ zu verstehen, hilft der Blick auf ihr Gegenteil: „toxische Männlichkeit“. Dieser Begriff beschreibt Verhaltensmuster, bei denen Männer emotionale Kälte zeigen, Aggression als legitimes Mittel betrachten, Frauen unterordnen und Schwäche als Makel ansehen. Solche Vorstellungen sind in vielen Kulturen tief verankert – in Werbespots, Filmen und patriarchalen Erziehungssystemen.
„Tonic masculinity“ versucht, genau diese Dynamiken aufzubrechen. Statt Konkurrenz und Revierdenken fördert sie Kooperation. Statt emotionale Unterdrückung wird die Fähigkeit zur Selbstreflexion kultiviert. Der Soziologe Michael Kimmel fasste es einmal so zusammen: „Wirklich starke Männer haben keine Angst davor, verletzlich zu sein.“
Relevanz für unsere Zeit
Warum ist dieses Konzept heute so aktuell? In einer Zeit, in der sich Männerbilder in der Krise befinden, bietet „tonic masculinity“ ein dringend benötigtes Update. Die alten Rollen funktionieren nicht mehr, neue Rollen sind noch diffus. Junge Männer wachsen mit widersprüchlichen Erwartungen auf: Einerseits sollen sie sensibel sein, andererseits durchsetzungsfähig. „Tonic masculinity“ zeigt: Beides ist möglich.
Pedro Pascal ist hier ein interessanter Indikator des Zeitgeists. In der Serie „The Last of Us“ spielt er einen rauen Überlebenskämpfer, der zugleich eine tiefe emotionale Bindung zu einem Teenager-Mädchen aufbaut. In Interviews zeigt er sich als queerfreundlich, verletzlich und politisch engagiert. Das Nachrichtenportal T-Online kommentierte: „Pedro Pascal lebt eine Form von Männlichkeit, die ohne große Gesten auskommt – und gerade dadurch revolutionär wirkt.“
Fallbeispiel Pedro Pascal
Pedro Pascal ist mehr als ein Schauspieler – er ist zu einer kulturellen Projektionsfläche geworden. Die „Daddy“-Memes in sozialen Netzwerken, die ihn feiern, sind nicht bloß Witze. Sie zeugen von einer tiefen Sehnsucht nach einer männlichen Identifikationsfigur, die nicht einschüchtert, sondern inspiriert.
Er zeigt sich öffentlich solidarisch mit LGBTQ+-Rechten, posiert liebevoll mit seinen Co-Stars und spricht offen über seinen Stolz auf seine trans Frau. All das bricht mit klassischen Männlichkeitsnormen – ohne diese ins Lächerliche zu ziehen. Der Autor Dave Holmes schrieb in einem Essay für Esquire: „Pascal ist ein Mann, der für andere einsteht, ohne sich selbst zu verlieren.“
Das macht ihn zu einem modernen Symbol von „tonic masculinity“: jemand, der Stärke nicht durch Kontrolle zeigt, sondern durch Nähe, Offenheit und Integrität.
Kritik und Grenzen
Natürlich bleibt der Begriff nicht ohne Kritik. Einige Stimmen werfen „tonic masculinity“ vor, lediglich ein neues Etikett auf alte Tugenden zu kleben. Auch besteht die Gefahr, dass eine positive Norm wiederum Druck erzeugt: Muss ein Mann heute also „immer“ fürsorglich, empathisch und reflektiert sein? Darf er nicht auch mal wütend, laut oder irrational agieren – ohne das gleich als Rückfall in toxische Muster zu verstehen?
Zudem gibt es theoretische Unschärfen. Die feministische Philosophin Nancy Fraser warnte in einem Interview vor „moralischen Idealbildern“, die gesellschaftliche Verhältnisse ausblenden. Wenn Tonic Masculinity als individueller Lifestyle verstanden wird, könne das von strukturellen Ungleichheiten ablenken.
Anwendungsmöglichkeiten und Ausblick
Trotz Kritik bietet das Konzept viele Chancen – besonders in der Bildungsarbeit, der Psychotherapie und der Medienproduktion. In Männergruppen kann es helfen, neue Rollenvorbilder zu diskutieren. In Schulen könnte es als Thema im Ethikunterricht neue Perspektiven eröffnen.
Auch Werbekampagnen greifen das Bild auf: Marken wie Dove Men+Care oder Gillette experimentieren seit einigen Jahren mit sensibleren Männerbildern. Die Wirkung bleibt ambivalent – zwischen Aufbruch und Imagepflege.
Fest steht: Die Gesellschaft befindet sich im Umbruch. Es braucht neue Begriffe, Bilder und Identitäten, um diesen Wandel greifbar zu machen. „Tonic masculinity“ ist dabei kein Allheilmittel – aber vielleicht ein guter Anfang.
Oder wie Pedro Pascal es selbst ausdrückte: „Ich versuche nicht, ein Held zu sein. Ich versuche einfach, ein Mensch zu sein.“